Wie innere Faktoren das persönliche Stressempfinden beeinflussen können
„Stress hat man nicht, Stress macht man sich“ – dieses Sprichwort suggeriert, dass Stress von den Betroffenen ausschließlich selbst gemacht wird. Es impliziert vielleicht auch, dass Stress im Kopf entsteht und Gestressten wichtige Skills wie „Stressresistenz“ oder ein gutes „Stressmanagement“ fehlen. Auf jeden Fall bedeutet es, dass Gestresste selbst „schuld“ an ihrem Stress sind. Vor dem Hintergrund einer psychologischen Definition und einer Unterscheidung in verschiedene Arten von Stressfaktoren möchte ich diese Floskel auf den Prüfstand stellen. Kann man sich Stress eigentlich machen? Oder entsteht er ohne eigenes Zutun?
Was ist Stress?
In der psychologischen Literatur wird Stress definiert als die subjektive Empfindung unangenehmer Spannungszustände, die durch Stressoren ausgelöst wurde.
Stressoren, also die Faktoren, welche Stress oder Stressempfindungen auslösen, können unterschieden werden in Umweltfaktoren, soziale Faktoren und personale Faktoren.
Umweltfaktoren sind z. B. Zeit- und Termindruck und eine hohe Arbeitsintensität. Wenn die To-Do-Liste immer länger wird und ein Termin nach dem anderen ansteht, nimmt das Stressempfinden bei den allermeisten Menschen zu. Auch bei Unterbrechungen und Störungen, welche mit zunehmend digitalen und vernetzten Arbeiten häufig an der Tagesordnung sind, können Stressgefühle entstehen. Aber auch Lärm oder andere Umgebungseinflüsse können – je nach Ausmaß und Sensibilität der Betroffenen – mehr oder weniger Stress verursachen.
Diese Stressfaktoren können, wenn überhaupt, nur zu einem bestimmten Grad selbst beeinflusst werden.
Zu den sozialen Faktoren bei der Stressentstehung zählen z. B. Konflikte. Da der Mensch evolutionär betrachtet auf seine Mitmenschen angewiesen war, um zu überleben, werden Konflikte unbewusst als (lebens-)bedrohlich wahrgenommen und verursachen deshalb Stress. Bei Mobbing kommt dies besonders stark zum Tragen, da man bei Ausschluss aus einer Gruppe oder Gemeinschaft den wilden Tieren schutzlos ausgeliefert war. Aber auch das Fehlen von wichtigen sozialen Faktoren, wie Anerkennung oder soziale Unterstützung, kann viel Stress verursachen. Auch dies ist zurückzuführen auf unsere o. g. evolutionären Prägungen.
Auch auf diese Stressfaktoren ist der eigene Einfluss eher begrenzt.
Diese Beispiele zeigen, dass es genügend äußere Einflüsse gibt, auf welche man, wenn überhaupt, nur einen begrenzten Einfluss hat. Demzufolge ist die Floskel „Stress hat man nicht, Stress macht man sich“ unzutreffend und widersinnig. Allerdings gibt es noch eine dritte Kategorie von Stressoren – die personalen, also innerpsychischen Stressfaktoren. Wenn man das Sprichwort ausschließlich darauf bezieht, macht es etwas mehr Sinn.
Was sind innerpsychische Stressfaktoren?
Innerpsychische oder personale Stressfaktoren sind Stressoren, welche innerpsychische Ursachen haben. Diese werden am besten in Situationen deutlich, in denen Personen ganz unterschiedliche Reaktionen auf die gleiche Situation zeigen, was sich z. B. im Beruf gut beobachten lässt.
In einer Gesellschaft, in der sich viele Menschen über ihre Leistung, ihren Status und ihr Ansehen definieren, ist ein klassischer Stressfaktor ein starkes Leistungsdenken. Oftmals angetrieben von dem Wunsch nach Anerkennung wird die nächste Beförderung, der nächste Karrieresprung oder das nächste Prestige-Projekt angestrebt. Höher, schneller, weiter – oder ab in den Burnout? Wenn diese hohen Ambitionen keinen Ausgleich finden, ist das Risiko zumindest hoch.
Ein anderer innerpsychischer Stressfaktor ist Perfektionismus. Perfektionisten setzen sich selbst sehr hohe Ziele und Standards, sie wollen Dinge so gut wie es nur irgendwie geht erledigen – perfekt eben. Und sie wollen um jeden Preis Fehler vermeiden. Wenn dies nicht gelingt, werten sie sich und ihre Leistung oft ab und halten sie für wertlos. Auch wenn die Leistung zwar nicht perfekt, aber doch gut oder sehr gut war. Diese Einstellung ist mit viel innerem Druck und negativen Gefühlen verbunden und kann sehr viel Stress bei Betroffenen auslösen.
Ein hohes Harmoniestreben gepaart mit einer geringen Konfliktfähigkeit kann ebenfalls ein innere Stressquelle sein, wenn diese Tendenz zum sog. „People Pleasing“ führt. Dieser Begriff aus dem englischen Sprachgebrauch bedeutet übersetzt „Menschen gefallen / zufrieden stellen (wollen)“. Es kann sich darin zeigen, dass man Dinge tut, um anderen zu gefallen, gemocht zu werden, sich anzupassen oder Anerkennung zu erfahren. Dieses Verhalten ist zutiefst menschlich, wenn aber die eigenen Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse permanent ignoriert werden oder allzu oft auf der Strecke bleiben, macht das nicht nur unglücklich, sondern kann ebenfalls sehr viel inneren Stress auslösen.
Starkes Leistungsdenken, Perfektionismus und die Kombination aus einem hohen Harmoniestreben mit einer geringen Konfliktfähigkeit, die zum sog. „People Pleasing“ führt, sind drei Beispiele für innerpsychische Stressfaktoren, die häufig vorkommen. Sicherlich gibt es noch viele weitere. Hier ist die Floskel „Stress hat man nicht, Stress macht man sich“ schon eher zutreffend. Allerdings suggeriert dieses Sprichwort auch, dass Menschen ihr Denken und Handeln zu 100% bewusst und rational steuern könnten. Dies ist allerdings ein großer Irrglaube. Tatsächlich läuft der Großteil davon im Unterbewusstsein ab, das von Emotionen, Überzeugungen und Gewohnheiten geprägt ist. Diese bilden sog. Muster, welche nicht so einfach veränderbar sind. Das bedeutet, dass Betroffene ihren Stress nicht bewusst oder absichtlich „machen“ (warum sollten sie das auch tun?!) und dies auch nicht einfach so abstellen können. Daher ist die Floskel „Stress hat man nicht, Stress macht man sich“, selbst wenn man sie nur auf die innerpsychischen Stressfaktoren bezieht, größtenteils unzutreffend und widersinnig.
Was ist die eigentliche Ursache?
Innerpsychische Faktoren können also sehr viel Stress verursachen. Aber was liegt dem zu Grunde? Welche Gefühle und Gedanken sind die Grundlage für diese Muster?
Ist dieser Stress vielleicht im Grunde Angst?
Angst vor Versagen, Angst nicht gut genug zu sein, Angst andere zu enttäuschen, Angst nicht akzeptiert oder gemocht zu werden, …
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Diese Ängste sind meist mit negativen Glaubenssätzen verbunden. Glaubenssätze sind tiefe Überzeugungen, welche sich im Laufe des Lebens gebildet haben.
Folgende Beispiele sollen das verdeutlichen:
„Ich bin nur gut, wenn ich beruflich erfolgreich bin.“
„Je mehr ich leiste, umso mehr bin ich wert.“
„Nur wenn ich mich anpasse, werde ich akzeptiert und gemocht.“
„Ich bin nicht gut genug für …“
„Ich muss immer alles richtig machen.“
„Nur, wenn ich immer alles perfekt mache, bin ich wertvoll und liebenswert.“
Diese und ähnliche Glaubenssätze sind oftmals so tief, dass sie den Betroffenen nicht bewusst sind. Sie rufen negative Gedanken und Gefühle hervor und können je nach Situation sehr viel Stress verursachen. Aus alltäglichen Dingen werden dann große Stressquellen und aus Herausforderungen scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Der Leidensdruck steigt und die Lebensqualität ist deutlich eingeschränkt.
Wie kann Coaching helfen?
Im Coaching kann man diese Glaubenssätze ins Bewusstsein bringen, sie reflektieren und verändern. Dazu muss man sich damit auseinandersetzen, wo diese Glaubenssätze ihren Ursprung haben. Oftmals sind sie bereits in der Kindheit und Jugend gebildet worden, haben die Persönlichkeit geprägt und halten sich hartnäckig. Trotzdem ist es möglich, diese nachhaltig zu verändern. Allerdings passiert das nicht über Nacht, sondern erfordert einige Zeit und Übung. Mit einer professionellen Begleitung im Rahmen eines Coachings geht es leichter. Du wirst angeregt, deine Glaubenssätze zu reflektieren, umzuformulieren und diese deinem Unterbewusstsein zugänglich zu machen. Dadurch veränderst du deine innere Einstellung und entwickelst mehr Gelassenheit. Und letztendlich „machst“ du dir einfach weniger Stress.
Diese Arbeit an den eigenen Mustern und Glaubenssätzen findet bei mir u. a. im Rahmen meines Coachings zur Burnout-Prävention statt. Denn Burnout-Prävention bedeutet weit mehr als gutes Zeitmanagement, Pausen, Bewegung und Entspannung. Es geht darum, die Stressfaktoren zu identifizieren und Lösungen zu finden, um diese zu reduzieren, besser zu bewältigen oder ganz abzubauen. Das kann bedeuten, einen Konflikt mit dem Vorgesetzen zu lösen, Kollegen gegenüber Grenzen zu setzen oder sich Zeit zu blocken, in der man ungestört arbeiten kann. Oder wie oben beschrieben, an den eigenen Mustern und Glaubenssätzen zu arbeiten. So unterschiedlich wie die Menschen sind, so individuell sind die Lösungen. Und das kann man nur in einem Coaching erreichen und nicht durch Vorträge, Webinare oder durch das Lesen von Burnout-Präventions-Tipps. Darin liegt der Mehrwert von Coaching: Coaching ist persönlich, macht Dinge bewusst, die vorher unbewusst waren und regt zu Selbstreflexion und nachhaltigen Veränderungen an.